"Mir fehlt der Abschaltknopf"
Der britische Schauspieler Hugh Grant über lust- und leidvolle Erfahrungen mit dem Ruhm, seinen neuen Film "About a Boy" und den Horror der Pubertät
SPIEGEL: Mr. Grant, in Ihrem neuen Film "About a Boy" geht es im Grunde um zwei Kinder: einen zwölfjährigen Jungen auf der Suche nach einer Vaterfigur - und den Enddreißiger Will, den Sie spielen. Könnte es sein, dass Sie selbst ähnlich wie Will partout nicht erwachsen werden wollen?
Grant: O ja, es ist so ziemlich das Letzte, was ich will.
SPIEGEL: Woher rührt diese Angst?
Grant: Es ist keine Frage der Angst. Es ist eine Frage des Geschmacks. Ich mag keine Leute, die sich gefestigt und ausgeglichen fühlen. Ich mag Menschen, die albern und möglichst chaotisch sind.
SPIEGEL: Wurden deshalb für die Verfilmung des tragikomischen Romans "About a Boy" von Nick Hornby als Regisseure die Amerikaner Chris und Paul Weitz verpflichtet, die zuvor in der Teenie-Trash-Komödie "American Pie" den Hauptdarsteller in einen Apfelkuchen onanieren ließen?
Grant: Ich fand "American Pie" sexy. Aber ich hatte auch meine Zweifel, dass die Weitz-Brüder die Richtigen für "About a Boy" sind. Doch als ich sie kennen lernte, merkte ich, dass sie die intellektuellsten Regisseure sind, die ich je getroffen habe. Am Set lasen sie Tolstoi. Sie sind kultiviert und haben trotzdem einen infantilen Sinn für Humor. Insofern sind sie Nick Hornby sehr ähnlich.
SPIEGEL: Ihnen auch?
Grant: Was die kindische Seite anbetrifft, auf jeden Fall. Wenn wir drei zusammen sind, benehmen wir uns derart albern, dass Siebenjährige peinlich berührt wären.
SPIEGEL: Die Verfilmung des Hornby-Bestsellers "High Fidelity" ging daneben, weil der Schauplatz von London nach Chicago verlegt wurde. Hatten Sie keine Sorge, dass auch "About a Boy" durch amerikanische Regisseure stark verfremdet würde?
Grant: Die Weitz-Brüder haben ein gutes Gespür für die britische Kultur; das war mir außerordentlich wichtig. Bei einer amerikanisierten Fassung hätten wir auch Probleme gehabt: Die Freundschaft zwischen dem zwölfjährigen, leicht gestörten Marcus und dem coolen Will zum Beispiel entwickelt sich erst, weil Marcus' Mutter depresssiv wird. In den USA scheint es aber Depressionen gar nicht zu geben: Die schlucken bei der kleinsten Verstimmung Prozac, und damit hat sich die Sache.
SPIEGEL: Nur wenige europäische Schauspieler schaffen es, so populär zu werden wie Ihre Kollegen aus Hollywood. Woran liegt das?
Grant: Ganz ehrlich - ich glaube, dass amerikanische Schauspieler in der Regel besser ausgebildet sind als europäische. In Großbritannien jedenfalls geht es eher pragmatisch zu. Da heißt es: Lern deinen Text und stolper nicht über die Möbel! In Amerika ist die Ausbildung für Schauspieler dagegen eine Art Therapie. Die Kollegen dort lernen eine Menge über sich selbst. Man spielt nur dann spontan, wenn viel von einem selbst in einer Rolle aufgeht.
SPIEGEL: Ihnen wird gerade vorgeworfen, Sie spielten zu sehr sich selbst.
Grant: Es stimmt, dass vieles von mir in den Rollen drinsteckt - und das halte ich auch für unabdingbar. Wenn ich mich mit einer Rolle auseinander setze, muss ich überlegen, wie ich selbst in einer vergleichbaren Situation reagieren würde. Auf diese Weise nähern sich Hugh Grant und die Figur immer mehr an.
"Ich bin auf dem Set eine Qual für mich und jeden anderen - neurotisch und schlecht gelaunt."
SPIEGEL: Gibt es Kniffe, die Sie dem zwölfjährigen Nicholas Hoult, Ihrem Filmpartner bei "About a Boy", beibringen konnten?
Grant: O nein, wirklich nicht. Schon der Gedanke, jemand wolle etwas von mir lernen, erschreckt mich zutiefst. Ich würde jedem dringend davon abraten, meine Schauspieltechnik zu kopieren. Ich bin auf dem Set eine Qual für mich und jeden anderen - neurotisch und schlecht gelaunt. Der kleine Hoult war sehr sicher vor der Kamera. Ich habe ihn wirklich bewundert.
SPIEGEL: Was in aller Welt quält Sie so?
Grant: Das, was ich mache, ist nicht so einfach, wie es vielleicht wirkt. Ich spiele ja nicht in Komödien, bei denen sich der Witz darauf beschränkt, dass ein Mann auf einer Bananenschale ausrutscht. Bei mir liegt die Komik oft in einer feinen Änderung meines Gesichtsausdrucks - und das muss möglichst leicht rüberkommen. Lustig sein im Film ist übrigens viel schwerer als auf einer Bühne, wo du vom Publikum angetrieben wirst. Beim Film spielst du in Totenstille, jeder hat die Witze schon tausendmal gehört, es ist für niemanden komisch, am wenigsten für dich selbst.
SPIEGEL: Warum spielen Sie nicht hin und wieder Theater?
Grant: Um für so wenig Geld zu spielen, mag ich den Schauspielerberuf einfach nicht genug. Es muss sich wirklich auszahlen, damit ich mich freiwillig dem Horror der Schauspielerei ausliefere.
SPIEGEL: Sie spielen nur wegen des Geldes?
Grant: Mehr oder weniger. Natürlich gibt es auch einen anderen Grund: Ich mag es, wenn ich das Publikum unterhalten kann, aber ich glaube nicht daran, dass das im Theater wirklich oft gelingt. Den Schauspielern macht Theaterspielen großen Spaß, und es würde wahrscheinlich sogar mir Spaß machen. Aber ich behaupte, bei neun von zehn Aufführungen ist es furchtbar für das Publikum. Und ich kann einen Job nicht rechtfertigen, der die Leute so unglücklich macht. Die meisten Zuschauer sagen zwar, sie gingen gern ins Theater, aber der eigentliche Grund ist, dass sie sich kulturell interessiert zeigen wollen.
SPIEGEL: Vor ein paar Jahren haben Sie mit Ihrer damaligen Lebensgefährtin Liz Hurley eine Firma gegründet, um selbst Filme zu produzieren. Viel ist dabei offenbar nicht herausgekommen. Warum?
Grant: Ich habe eines über das Filmemachen gelernt: Man soll die Finger von Projekten lassen, von denen man nicht hundertprozentig überzeugt ist - neunzig Prozent reichen nicht. Wir haben zwei Filme produziert, die am Ende gute Filme waren ...
SPIEGEL: ... darunter die Gangsterkomödie "Mickey Blue Eyes" von 1999 ...
Grant: ... aber nicht großartige. Letztlich ist das unbefriedigend.
SPIEGEL: Es heißt, dass Sie jetzt an einer Komödie über Teenager schreiben. Wird das ein Film, der Ihren Ansprüchen genügt?
Grant: Ich fürchte, nein. Ich habe den Spaß daran verloren. Mein Skript war eben nur zu 85 Prozent gut.
SPIEGEL: Sie begegnen der gesamten Filmbranche nicht gerade mit Enthusiasmus. Warum bleiben Sie ihr überhaupt treu?
Grant: Ich liebe die glamouröse Seite dieses Berufs, die Aufmerksamkeit, die mir entgegengebracht wird. Es ist nur so: Ich wollte an keinem Punkt meines Lebens Schauspieler werden.
SPIEGEL: Gab es je etwas, was Sie wirklich werden wollten?
Grant: Als kleiner Junge träumte ich davon, professionell Fußball zu spielen - für England. Mein Vorbild war Geoffrey Hurst, der beim WM-Finale 1966 im Wembley-Stadion das spielentscheidende 3:2 gegen Deutschland schoss.
SPIEGEL: Das war kein Tor!
Grant: Behaupten Sie. Als Engländer sehe ich das selbstverständlich anders. Im Übrigen hatte ich als Teenager sowieso bald hochtrabendere Ambitionen. Ich wollte ein berühmter Romanautor werden. Dann hatte ich eine Kunstphase, und es sollte die Malerei sein.
SPIEGEL: Ging es Ihnen um den Sport, die Literatur und die Kunst - oder ging es eher um die snobistische Pose?
Grant: Natürlich um die Pose. Ich wollte immer Glamour, und den habe ich durch die Schauspielerei bekommen. Insofern bin ich eigentlich glücklich mit dem Job. Außerdem hatte ich bei der Schriftstellerei Angst zu versagen. Und jetzt bin ich wahrscheinlich zu alt dazu.
SPIEGEL: Klar, mit 41 sind Sie uralt.
Grant: Oh, doch, was meine Experimentierlust betrifft, fühle ich mich uralt.
SPIEGEL: Woher rührt Ihre Lust am Glamour?
Grant: Ich hatte keine besonders glamouröse Kindheit. Ich bin in einem eher üblen Londoner Viertel aufgewachsen, das auf dem Weg zum Flughafen Heathrow liegt. Bei uns übernachteten Verwandte, die am nächsten Tag irgendwohin fliegen wollten. Ich habe sie oft zum Flughafen begleitet und sehnsüchtig vor den Abflugtafeln gestanden und mir gedacht: Fuck, das ist es, was ich möchte! Einfach zu dieser mobilen und lässigen Truppe dazugehören. Dieser Wunsch hat sich erfüllt.
SPIEGEL: Was sagten Ihre Eltern, als Sie sich anschickten, Schauspieler zu werden?
Grant: Sie waren entsetzt. Aber als es gut lief, war meine Mutter stolz, wenn sie unserer polnischen Nachbarin mein Bild in der Zeitung unter die Nase halten konnte.
SPIEGEL: Im Film "About a Boy" wird gezeigt, wie sehr sich Kinder um das Wohlbefinden ihrer Eltern sorgen können. War es bei Ihnen ähnlich, fühlten Sie sich für das Glück Ihrer Eltern zuständig?
Grant: An einem bestimmten Punkt im Leben drehen sich die Verhältnisse tatsächlich um, und dann müssen Kinder für ihre Eltern da sein. Bei mir ist es in den letzten Jahren so gekommen: Meine Mutter starb vergangenes Jahr, mein Vater lebt jetzt allein, und ich muss mich um ihn kümmern.
SPIEGEL: Ist er krank?
Grant: Oh, er hat jede Krankheit, die man irgendwie benennen kann - und meine Rolle ist es, ihm gut zuzureden, damit er über die Runden kommt.
SPIEGEL: Wie wichtig ist es Ihnen, irgendwann eine eigene Familie zu gründen?
Grant: Es hat nie zu den Dingen gezählt, die ich unbedingt wollte. Bei meinem Bruder war es anders. Uns war als Kindern schon klar, dass er irgendwann eine Familie haben würde - und er hat jetzt eine. Ich träumte dagegen schon früh davon, im Pariser Hotel Ritz Cocktails zu trinken.
SPIEGEL: Was haben Sie für ein Verhältnis zu den beiden Kindern Ihres Bruders?
Grant: Es braucht immer ein paar Tage, bis ich ein Lachen aus ihnen herauskriege. Ich glaube manchmal, es ist ihnen peinlich, dass ich ein bekannter Schauspieler bin. Im letzten Sommer sind wir aber gemeinsam in einem Privatjet nach Frankreich geflogen - ich hatte den Eindruck, in dieser Stunde mochten sie mich sehr.
"Ich war immer eher unhip und außerdem ein Spätentwickler."
SPIEGEL: In "About a Boy" sieht man, wie wichtig heute für ein Kind die richtigen Klamotten und der richtige Musikgeschmack sind, um von Gleichaltrigen akzeptiert zu werden. War das zu Ihrer Schulzeit auch schon so?
Grant: Ich war immer eher unhip und außerdem ein Spätentwickler. Als die anderen Jungs schon groß waren wie Männer und überall Haare hatten, war ich noch relativ klein und absolut bartlos. Aber dafür konnte ich die Lehrer nachmachen. So hatte ich eine Art Daseinsberechtigung.
SPIEGEL: Aber Sie kamen auch ohne enzyklopädisches W
issen über Popgruppen zurecht?
Grant: Ich habe den Krach nie gemocht, und es hat mich angewidert, dass sich meine Freunde bei Konzerten benahmen wie Schafe in einer Herde. Es ist noch heute so, dass ich peinlich berührt bin, wenn ich beim Durchzappen auf ein Popkonzert stoße und die Leute ihre Feuerzeuge hochhalten. Ich kann es einfach nicht mit ansehen. Aber als Junge habe ich mich bemüht, saß in meinem Zimmer, hörte die Grusel-Musik von Alice Cooper und redete mir ein, das sei nun toll. Es war natürlich nicht toll, sondern einfach nur unerträglicher Krach.
SPIEGEL: Immerhin muss Ihnen die Sehnsucht der Popstars nach Ruhm und Glamour eingeleuchtet haben. Stören Sie eigentlich Nebenwirkungen wie die, dass Sie kaum unerkannt auf die Straße gehen können?
Grant: Ich will mich nicht beklagen. Ich hatte nie Geld, jetzt habe ich es, und Frauen finden mich auch attraktiver als früher. Das Einzige, was mir fehlt, ist eine Art Abschaltknopf. Die Bekanntheit ausschalten, rausgehen und sich schlecht benehmen.
SPIEGEL: Was tun Sie, um nicht erkannt zu werden? Perücken, Hüte, Sonnenbrillen?
Grant: Es ist ein Hut, besser gesagt: eine Baseballkappe. Der Nachteil an diesem idiotischen Kleidungsstück ist, dass man sich dazu eigentlich anziehen muss wie ein amerikanischer Teenager. Aber wenn du ein Engländer bist und aussiehst wie ein Engländer und dann noch über vierzig bist, wirkst du mit der Kappe wie ein Esel.
SPIEGEL: Glaubt man den Klatschspalten, wissen Sie gar nicht so recht, was Sie mit Ihrem Geld anfangen sollen: Sie besitzen in London vier Häuser und lassen sie teilweise leer stehen.
Grant: Ja, es ist lästig, ich sollte ein oder zwei dieser Häuser wieder loswerden, das wäre wohl vernünftiger. Andererseits könnte ich mich gar nicht entscheiden, welches ich verkaufen sollte. Das Penthouse, das ich vor kurzem erworben habe, ist total absurd. Es gehörte einem Internet-Millionär, der Pleite ging. Er war wohl ein wenig pervers. Er hat sich ein Kino an sein Bett gebaut. Alles in dieser Wohnung ist vollautomatisch - wenn ich es genau bedenke, mag ich es, Häuser zu kaufen.
SPIEGEL: Das ist im Moment wohl auch lukrativer, als mit Aktien zu handeln.
Grant: Ich habe keine Aktien. Aber wenn Sie das in Ihrem Magazin schreiben, bekomme ich wieder hundert Briefe von Banken und Investmentanalysten. Die laden mich dann zum Golfspielen ein, und weil ich gern Golf spiele, gehe ich mit. Spätestens an Loch zehn sagen sie: O Hugh, Sie haben gar keine richtigen Kapitalanlagen, wir könnten Ihnen da helfen.
SPIEGEL: Vielleicht werden Sie so bedrängt, weil Sie ein allzu freundliches Image haben. Wie wäre es mit einem Rollenwechsel, mit einem Dreh im Dschungel, wo Sie den harten Mann markieren könnten?
Grant: Das wäre ein lustige Idee. Das Problem ist nur: Ich schätze Komfort. Ich habe vor vielen Jahren "Die bengalische Nacht" in Indien gedreht, einen französischen Film, und all die Franzosen haben ohne zu murren in irgendwelchen Hütten geschlafen. Nur die beiden britischen Schauspieler, John Hurt und ich, bestanden darauf, in einem ordentlichen Hotel untergebracht zu werden. Wir wurden täglich von dort zum Drehort und wieder zurückgefahren. Es waren jedes Mal anderthalb Stunden.
SPIEGEL: Mr. Grant, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Susanne Beyer und Martin Wolf.
© DER SPIEGEL 33/2002
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